Im Verlauf unseres Spaziergangs, der am Pfarrhaus beginnt, können wir die allmähliche Entwicklung der Jablonecer Architektur vom Barock bis zur Zwischenkriegszeit nachverfolgen.
Die entspannte Atmosphäre des Fin de Siécle manifestierte sich in Jablonec besonders stark. Der Grund dafür war die lokale Schmuckindustrie, die schnell auf aktuelle Modetrends reagieren musste. Der hiesige Jugendstil war jedoch spezifisch und eher eine modernere, modischere Variante des Historismus. Der aktuelle Fokus der lokalen Industrie spiegelte sich in der Folge in der architektonischen Gestaltung der einzelnen Gebäude wider, die von filigranen Fassaden geprägt sind, oft mit der Thematik der Bijouterie, der Gürtler und Glasmacher. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kleidete sich Jablonec in ein neues architektonisches Gewand. Besonders hervorzuheben ist der äußerst produktive Robert Hemmrich (1871–1946), der Autor der meisten Exporthäuser und Fabrikantenvillen. Mit etwas Übertreibung kann man sagen, dass gerade er praktisch Jablonec erbaut und sein heutiges Antlitz geprägt hat. In der Komenský-Straße, einer Hauptverkehrsader von Jablonec mit der 1900 in Betrieb genommenen, 1,7 km langen Straßenbahnlinie von der Lipová-Straße über den Platz des Friedens und die Podhorská Straße zur Novoveská Straße, können wir daher auch auf etliche seiner Bauten treffen. Im Verlauf unseres Spaziergangs, beginnend am Pfarrhaus, können wir die schrittweise Entwicklung der Jablonecer Architektur vom Barock bis zur Zwischenkriegszeit verfolgen.
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kostel sv. Anny s farou
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Komenského ulice
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Komenského ul. s Linkeho domem
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Ehemaliges Pfarrhaus (1. Station)
Die älteste Etappe der Stadt wird von der Kirche mit dem Pfarrhaus und dem ehemaligen Gasthaus, dem heutigen Hotel Goldener Löwe, repräsentiert.
Das ehemalige Pfarrhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, mit Neorenaissance-Fassade aus dem 19. Jahrhundert, ist ein einzigartig erhaltenes spätbarockes Haus. Seine heutige Gestalt erhielt es nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, als es eine neue Fassade bekam und das ursprüngliche Mansardendach durch das heutige Walmdach ersetzt wurde. In dem Objekt lebte seit den sechziger Jahren das Ehepaar Jana und Josef Scheybal, bedeutende Forscher auf dem Gebiet der Ethnographie. Heute befinden sich hier eine Galerie und das Informationszentrum. Zum Areal gehört auch die wertvolle Skulptur der Agonie im Garten Gethsemane und der Abschied Christi von der Jungfrau Maria von 1829, wahrscheinlich geschaffen von Ignaz Martinec für Ferdinand Hübner und dessen Sohn, Garnhändler aus Rádlo. Inspirationsquelle war in diesem Fall die Skulptur des Gartens Gethsemane am Wallfahrtsort Jiřetín pod Jedlovou. Wegen schwerer Beschädigungen am ursprünglichen Standort vor dem Haus Nr. 66 in Rádlo wurde die Plastik nach Jablonec verlegt und ergänzt in angemessener Art den Bereich von Pfarrhaus und Kirche.
Das Hotel Goldener Löwe Nr. 19 wurde bereits Mitte des 17. Jahrhunderts als Gasthaus errichtet und gehört somit zu den ältesten Häusern von Jablonec. Noch auf der Karte des Stabilen Katasters (1843) wurde das Objekt als brandgefährdet gekennzeichnet. Der klassizistische steinerne Mittel- und Nordtrakt stammt von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1906 wurde im östlichen Teil des Nordtrakts eine doppelarmige Treppe zum Dachgeschoss und zum Anbau jenes Hotelteils geschaffen, der anscheinend zumindest teilweise auf dem Souterrain eines ehemaligen klassizistischen Hauses errichtet wurde (Anbau von Architekt Robert Hemmrich). 1905 erwog man die Einrichtung einer Sängerhalle für den lokalen Chor, die auf der Fläche des heutigen Parkplatzes unter dem Hotel entstehen sollte. Das von Arwed Thamerus (1856–1936) entwickelte Projekt wurde schließlich doch nicht umgesetzt. 1935 erfolgte ein Dachbodenanbau (Karl Wander), der die einachsigen Gauben ersetzte, und weitere Umbauten im Inneren. 1964 wurden bei Abrissarbeiten zwei Schmiedeöfen entdeckt. Weitere bauliche Veränderungen erfolgten nach 1980 (u.a. wurde das Fachwerk des südlichen Teils durch Hohlblocksteine ersetzt). Die Steinelemente der Eingangsrampe und der Treppe sowie die Glasmalereien stammen von dieser Rekonstruktion. Bei der Rekonstruktion 2001 wurden der Dachstuhl und die Mansardengesimse durch Repliken ersetzt, sowie die historischen Balkendecken im Südtrakt und weitere Elemente ausgetauscht. Außerdem erfolgte Wärmedämmung, ein grundlegender Umbau des Hotelteils, ein Anbau an der Ostfassade und die Einrichtung eines Parkplatzes auf dem Grundstück südlich des Objektes.
Das gegenüberliegende Haus Nr. 926, die heutige Schenke Zum Goldenen Löwen, ist ein wertvolles Beispiel für Neostil-Bauten in der Stadt. Es wurde 1884 auf Basis eines Projektes des lokalen Architekten und Baumeisters Franz Hasler (1851–1899) für den Brandweinhändler Emanuel Lederer errichtet. Das benachbarte, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts errichtete Haus Nr. 1283 des Investors Joachim Jäger entstand ursprünglich auch in Anlehnung an den Historismus. Anfang der 1920er Jahre wurden die Fassaden im Sinne der aufkommenden Moderne nach einem Projekt von Robert Hemmrich für Otto und Emma Zimmer grundlegend verändert.
Ein weiteres Beispiel für die Neostil-Architektur ist das weitläufige Neorenaissance-Haus Nr. 543, das 1887 vom in Jablonec tätigen Franz Hasler, einem der bedeutendsten Architekten des Historismus, für Anton Hübner gebaut wurde.
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hotel Zlatý lev
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vchod do Domu Scheybalových
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Dům Scheybalových – bývalá fara
Modehaus Alfred Wünsche (2. Station)
Das interessant konzipierte Modehaus Nr. 2466 befindet sich auf einem schmalen Grundstück in der Komenský-Straße und wurde 1924-25 an Stelle eines älteren Gebäudes von Robert Hemmrich für Alfred Wünsche im damals angesagten Art-déco-Stil erbaut.
Untypisch ist der auskragende tiefe Eingang mit dem Charakter eines versunkenen „Vestibüls“, auf der einen Seite mit einer polygonalen Auslage versehen, im Kontrast zu der ansonsten symmetrisch konzipierten Fassade. Die beträchtliche Vertikalität des Hauses wird durch den Zierfries betont, der die Fassade und das letzte Stockwerk über dem Kordongesims umrahmt, und im Frontschild gipfelt.
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detail domu – arch. Hemrich
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Komenského ul. – bývalý Dům módy
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detail na fasádě – arch. Hemrich
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Linke-Haus (3. Station)
Das Geschäfts- und Wohnhaus von Gustav Linke Nr. 544 ist ein bemerkenswertes Gebäude, das von zeitgenössischer deutscher Architektur (dem sog. Backstein-Expressionismus) beeinflusst ist.
Das Haus wurde 1929–1931 auf dem Eckgrundstück zwischen den heutigen Straßen Máchova und Komenského anstelle eines älteren, spätklassizistischen zweistöckigen Hauses errichtet. Mit seinen ausdrucksstarken Fassaden folgt es dem Straßenverlauf. Obwohl der zuvor erwähnte Einfluss des Expressionismus in seiner formalen Lösung deutlich sichtbar ist, sind hier auch klassizistische Tendenzen, die sich in dem regelmäßigen Fensterraster oder der Rhythmisierung der Fassade mit massiven kombinierten Pilastern zeigen, die eine hohe Ordnung evozieren. Der expressive Ausdruck der Fassaden wird auch durch die Verwendung von Klinkerverkleidungen unterstrichen, die vom Verein für chemische und metallurgische Produktion in Ústí hergestellt wurden (sog. Eisenoxid-Backstein). Die damalige Presse schrieb, dass bei diesem modernen Haus sicher bewusst erstmals dieses Material als Schutz vor dem rauen Vorgebirgsklima eingesetzt wurde. Die erste, nicht realisierte Version des Projekts wurde 1929 von Rudolf Günter (1902–1984) entwickelt und zeichnete sich durch konventionellere, eher klassizistische Formen mit einem dominanten Eckturm aus. Hier sollte die Klinkerverkleidung nur auf die Fensterflügel und die Zwischenfensterleisten am Eckflügel beschränkt bleiben. Am Ende fiel die Wahl jedoch auf eine deutlich mutigere Gestaltung mit Vollklinkerverkleidung und ausdrucksstarke Fassaden. Das Motiv des Turms blieb erhalten, rückte jedoch in die Mitte der Fassade an der Máchova Straße und der Flügel zur Komenský Straße mit überhängenden Balkonen folgt ihm mit einer eleganten Kurve. Das Erdgeschoss war einzelnen Einrichtungen vorbehalten und der über Treppen und Aufzug zugängliche Wohnteil des Gebäudes konnte durch eine Passage von der Máchova Straße aus betreten werden. Die restlichen Stockwerke waren Wohnungen und praktisch identisch gegliedert. In jedem befanden sich zwei Drei- und Vierzimmer-Luxuswohnungen. Das Objekt ist bis heute in sehr gutem Zustand, mit Ausnahme des Erdgeschosses, das mit ungeeigneten Kunststoffvitrinen bestückt wurde. Zusammen mit der Stross-Villa in Liberec sind das wahrscheinlich die besten Beispiele expressionistischer Architektur in der Region Liberec.
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Linkeho dům –
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Linkeho dům – detail
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detail Linkeho domu
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Stadthaus in der Mácha-Straße (4. Station)
Das robuste Eckhaus Nr. 21 wurde von der Stadt Jablonec als Mietshaus mit der Apotheke Rotes Kreuz an Stelle eines älteren, klassizistischen Hauses errichtet. Das Gebäude weist die für Hemmrich so typischen geometrischen Jugendstilformen mit Motiven der lokalen Bijouterie-Industrie aus. Zusammen mit den umliegenden Gebäuden bilden sie ein wertvolles architektonisches Ensemble, das die dynamische Entwicklung der Stadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll dokumentiert.
Unübersehbar ist auch das 1913 für die Exporteure Karl und Ernst Scheibler gebaute Haus Nr. 595, das wiederum nach einem Projekt von Hemmrich in dessen charakteristischem Stil entstand, der kunstvoll den geometrischen Jugendstil mit Elementen der barocken Moderne verbindet. Das auffälligste Element des weitläufigen Hauses ist der abgesenkte trichterförmige Eingang.
Das 1886 nach einem Projekt von Franz Hasler für Carl Scheibler erbaute Haus Nr. 992 ist ein Beispiel für raffinierte Neorenaissance-Architektur. 1929 wurde das nicht erhaltene Parterre modernisiert und mit elegant gestalteten Auslagen von Albert Thamerus ausgestattet. Zugleich wurde das Haus umgebaut und um ein Geschoss aufgestockt.
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Komenského ul.- dům čp. 21
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Dům čp. 21 – detail sttřechy
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Dům čp. 21 – detail
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Dům čp. 595 – arch. Hemrich
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Dům čp. 595 – detail fasády
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Komenského ul.- dům čp. 992
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Hotel Geling (5. Station)
Das Neorenaissance-Hotel Nr. 446 ließ sich Gustav Geling in den 1880er Jahren auf Basis eines Entwurfs von Franz Hasler und Anton Womatschky (Saal) an Stelle eines älteren Hauses errichten. Eines der berühmtesten Hotels in Jablonec, wo Franz Kafka übernachtete, wurde schrittweise vergrößert und 1902 um eine Jugendstil-Dependance erweitert.
1902 wurde die enge Baulücke zwischen dem Hotel und dem benachbarten Haus Nr. 24 nach einem Projekt von Arwed Thamerus mit einer Jugendstil-Dependance geschlossen. 1910 übernachtete hier Franz Kafka, den sein Arbeitgeber nach Jablonec geschickt hatte, damit dieser bei einem öffentlichen Auftritt im Saal des Hotels den hiesigen Fabrikanten die Vorteile der Versicherung näher brachte. Der prachtvolle Saal, der den wertvollsten Teil des Gebäudes ausmachte, wurde neben Vorträgen auch für Bälle genutzt. Bis zum Bau des Städtischen Theaters fanden hier sogar Theaterproduktionen statt. Das Hotel wurde 1944 von der Familie Geling an Hermann Winkler verkauft, der das bekannte Café Winkler im Liberecer Palast Neiße betrieb. Nach 1945 wurde das Haus konfisziert. Ab 1951 gehörte es dem Staatsbetrieb Restaurants und Speisesäle, der es 1990 an die Genossenschaft Tourgent verkaufte. In den neunziger Jahren wurden hier Abrissarbeiten ausgeführt, bei welchen die Bühne des Saales und der Wirtschaftsflügel im Hof verschwanden. Während der ganzen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Gebäude nur zu utilitären Zwecken genutzt und umgebaut, so dass es bis 2010 sogar im Verzeichnis der am stärksten bedrohten Kulturdenkmäler der Tschechischen Republik geführt wurde. Erst dank des Höhepunkts der Umbauprojekte konnte es praktisch im letzten Moment gerettet werden.
Das gegenüberliegende Neorenaissance-Haus Nr. 23 mit reich erhaltenen architektonischen Elementen ist eines der wertvollsten Beispiele historisierender Architektur in der Stadt. Investor des Hauses war der Exporteur und Regionalpolitiker Eduard Dressler. Die Entwicklung des Projekts übernahm der mehrfach erwähnte Baumeister und Architekt Franz Hasler.
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Hotel Praha – detail fasády
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Hotel Praha – secesní detail
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Komenského ul. – Hotel Praha
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Haus der Brüder Zasche (6. Station)
Das geräumige Doppelhaus Nr. 493 und 568 wurde 1914 für die Gürtler Oskar und Ernst Zasche erbaut. Autor des Projekts war der Doyen der Jablonecer Architektur Robert Hemmrich.
Das massive, symmetrisch komponierte Haus mit einem Gewerbeerdgeschoss und einem Paar robuster Erker gipfelt in einem Überbau mit kombiniertem Giebel. Aus architektonischer Sicht weisen die Fassaden eine für Hemmrich charakteristische Kombination aus verblassendem Jugendstil und barocker Moderne auf. In den Innenräumen blieben einige Originalelemente erhalten, darunter der Fahrstuhlschacht im Jugendstil.
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dvojdům čp. 493 a 568 – secesní výtahová šachta
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Komenského ul.- dvojdům čp. 493 a 568
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dvojdům čp. 493 a 568 – secesní výtahová šachta
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Jizera (7. Station)
Das Eck-Wohnhaus Nr. 407, genannt Jizera, mit dem Café Habsburg, wurde1908 nach einem Entwurf von Robert Hemmrich im geometrischen Jugendstil erbaut. In seiner beherrschenden Lage wirkt es sich stark auf das Stadtzentrum aus.
Nach 1918 wurde der Name des Cafés in Café Metzler geändert. Der Raum des ehemaligen Cafés befand sich im ersten Stock und wurde durch einen langen durchgehenden Balkon betont. Das Café wurde ursprünglich durch einen großzügigen und raffiniert gestalteten Eingang an der Ecke des Gebäudes betreten. Die bedeutendste bauliche Veränderung des Hauses erfolgte in den 1960er Jahren, als die Jugendstildekoration der Fassade vollständig entfernt wurde, einschließlich der ursprünglichen Fenster- und Türintarsien (bis zum letzten Stockwerk). Der ursprüngliche Stuckputz wurde durch Zementputz mit Glasmosaik ersetzt. Bis vor kurzem blieben nur das letzte Dachgeschoss und die Ecksegmentplatte (einschließlich eines dekorativen Jugendstil-Klempnerelements) erhalten, auf der das historische Schild des Cafés und des zum Wohnen bestimmten Teils des Hauses platziert waren. Bei diesen Umbauten wurde auch die Innenausstattung des Hauses im Wirtschaftsteil wesentlich verändert (Höhenniveau der Fußböden, Zimmermanns- und Schlosserelemente). Kürzlich fand ein anspruchsvoller Umbau statt, der dem Haus das historische Aussehen zurückgab.
Unseren kurzen Architekturspaziergang beenden wir dann am gegenüberliegenden, optisch exponierten Eckhaus Nr. 485, das in den Jahren 1898-1900 von Arwed Thamerus für Amelia Gaudeck erbaut wurde. Das war ein typisches Beispiel für den Jablonecer Jugendstil, es ist noch ein Bürgerhaus im Neo-Stil, aber bereits belebt durch eleganten floralen Jugendstildekor, typische Maskaronen und auch ein etwas ungewöhnliches Eulenmotiv.
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Mírové nám. – nárožní dům čp. 407
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dům čp. 485 – sovy na fasádě
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dům čp. 407 – detail fasády
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Dies war die letzte Station. Von hier aus sieht man bereits das Rathaus von Jablonec.
der Karte: