Das neue Rathaus in Jablonec nad Nisou (Sitz des Magistrats der Stadt) wurde in den Jahren 1931–1933 erbaut und namentlich Bewunderer des Funktionalismus werden von ihm begeistert sein.

Das anspruchsvollste, von der Stadt finanzierte Vorhaben war in Jablonec wie auch in Ostrava das Neue Rathaus (1925-30). Beide waren in der Zeit zwischen den Weltkriegen die repräsentativsten Rathäuser in der damaligen Tschechoslowakei. Den Platz Mírové náměstí dominiert ein monumentales, freistehendes, vierflügeliges Gebäude mit einem prismatischen Turm mit prismatischer Verlängerung an der südwestlichen Ecke, das eines der markantesten Wahrzeichen von Jablonec darstellt. Vor dem Bau wurde hier Markt abgehalten, aber auch geparkt.

Der wichtigste Impuls für den Bau war die Tatsache, dass das alte Rathaus am Gewerbeplatz den Anforderungen einer modernen und sich dynamisch entwickelnden Stadt keinesfalls mehr entsprach. Zudem spielte auch das Bemühen eine Rolle, das Zentrum repräsentativ und der Bedeutung von Jablonec entsprechend zu gestalten. Das zeigte sich besonders bei einem 1925 ausgerufenen Wettbewerb für eine neue Innenstadt, wobei unter den Vorschlägen auch die Aufnahme eines Rathausneubaus gefordert wurde. Das Verdienst dieses neuen und umfassenden Ansatzes zur Stadtentwicklung ging vor allem auf den damaligen aufgeklärten Bürgermeister Karl Richard Fischer zurück. An diesen Wettbewerb knüpfte drei Jahre danach ein öffentlicher Architektenwettbewerb an, wobei der Abschluss auf den 15. 3. 1929 festgelegt war. Zur Fachjury, die die eingereichten Unterlagen bewerten sollte, gehörte u.a. Bürgermeister Fischer, der Architekt und Landeskonservator Karl Friedrich Kühn und die Architekten Robert Hemmrich, Josef Zasche und Josef Ulbrich. Zum Wettbewerb reichten 177 Teilnehmer ihre Projekte ein, darunter auch Avantgarde-Architekten wie Hannes Meyer vom Bauhaus, der am Projekt mit Arieh Sharon kooperierte. Der erste Preis wurde schließlich nicht erteilt, den zweiten teilten sich Karl Winter aus Liberec und Karl Lehrmann mit Karl Kontraschek aus Mödling und den dritten Preis Paul Voges aus Dresden, Josef Bothe mit Fritz Doleschal aus Mimoň und das Brünner Tandem Heinrich Fanta und Emil Tranquillini. Von den weiteren Teilnehmern sollen neben den bereits erwähnten noch Viktor Löbl (Prag), Anton Valentina (Wien), Emil Rösler (Plauen), Fritz Schön (Zittau), Felix Voretsch (Dresden), Leo Kammel (Wien), Ernst Schäfer (Liberec) und Adolf Foehr (Prag) genannt werden.

Das neue Rathaus wurde dabei nicht nur als Sitz der Stadtverwaltung konzipiert, es sollte auch Einrichtungen beherbergen, die der Stadt Gewinn bringen. Ein Café mit Terrasse, Restaurant und Weinstube, die Stadtsparkasse, zwanzig Läden und einen Verkaufsraum für die kommunalen Elektrizitäts- und Gaswerke. In dem Gebäude sollte auch ein Lichtspieltheater sein, damit Jablonec endlich die Vorführlizenz anwenden konnte, die die Stadt zwar besaß, bisher jedoch nicht benutzen konnte. Der Sieger war schließlich der Architekt Karl Winter aus Liberec (1894–1964), wobei zwei Faktoren die entscheidende Rolle spielten. Grundrisslösung und Gesamtkonzept, die dem Vorschlag von Lehrmann nahe kamen, sowie der Fakt, dass der Architekt in der Nähe von Jablonec wirkte und im Bedarfsfall leicht zu erreichen war. Das Projekt von Winter erfuhr im Verlauf des Wettbewerbs und der darauf folgenden Realisierung zahlreiche Abänderungen, wie das umfangreiche Konvolut von Plänen und Studien belegt, das sich im Bauarchiv der Stadt befindet. Die architektonische Lösung des Rathauses wurde vom modernen Purismus beeinflusst, allerdings mit nicht übersehbaren traditionalistischen Elementen. Die Form des Gebäudes wurde vom Konzept der italienischen Rathäuser der Gotik und Renaissance inspiriert, die Winter während seiner Studienreisen durch Italien kennenlernte. Das Multifunktionsobjekt, das in seinem Innern sowohl den Sitz der Selbstverwaltung als auch gesellschaftliche Einrichtungen, wie Café, Kino und Restaurant beherbergte, kann daher für heutige Verwaltungsgebäude beispielhaft sein. Der repräsentativste Raum ist der festliche Sitzungssaal, der die zweite und dritte Etage des Südflügels durchdringt, ausgestattet mit stilvollen Möbeln und einer Empore für Besucher.  Horizontal ist der Saal durch Putzstreifen gegliedert, die in einem geometrischen Muster enden, das ein Pendant zum massiven  Frontalmassiv mit Motiven der Jablonecer Industrie bildet, einem gemeinsamen Werk von Karl Winter und Franz Hub. Zu den architektonisch interessantesten und eindrucksvollsten Teilen des Interieurs gehörten die ergänzenden kommerziellen Räume – Weinstube, Restaurant, Café und Kino, die allerdings nach 1945 leider verschwanden. Dennoch bewahrte das Rathaus bis heute einige der ursprünglichen Dispositionen, einige Elemente, Details und technische Kuriositäten wie den noch funktionierenden Paternosteraufzug.

Es handelt sich daher um ein hervorragendes Werk der tschechoslowakischen Architektur der Zwischenkriegszeit, das mit seinen kunsthistorischen Qualitäten deutlich über den regionalen Rahmen hinausragt und zu Recht zu den wertvollsten Objekten seiner Art auf unserem Territorium zählt.

Rathausturm

Im Sommer kann man mit einem Führer den Rathausturm besteigen, von dem sich ein herrlicher Blick auf die Stadt bietet, oder auch einen Blick in den Sitzungssaal werfen, der nach den ursprünglichen Plänen des Architekten Karl Winter rekonstruiert wurde. Dessen siegreiches Projekt wurde aus beachtlichen 177 eingegangenen Entwürfen ausgewählt. Sein auffälliger viereckiger, 51 m hoher Turm mit Turmuhr wurde zur Dominante des viergeschossigen funktionalistischen Gebäudes. Bei klarem Wetter sind der Jeschkenkamm/Ještědský hřbet, das Isergebirge, der Schwarzbrunnkamm/Černostudniční hřeben, der Kaiserstein/Císařský kámen und der Petřín zu erblicken. Bei der Turmbesichtigung können auf Wunsch auch die Sitzungsräume besichtigt werden.

1. 7.–31. 8.
Montag–Freitag 10–16 Uhr
jede ganze Stunde

Informationen zu den Turmbesteigungen im Infozentrum: info@jablonec.com, +420 774 667 677

Das Rathaus in Jablonec in der Fernsehsendung des Tsch. Fernsehens „Toulavá kamera